10.08.2010

Ein bißchen ernst muß sein

Freitagnachmittag, Hamburger Schanzenpark


»Get back!« Der englische Torhüter brüllt, als ginge es um den FA Cup. Er brüllt schon die ganze Zeit. Keine Spielsituation bleibt unkommentiert, lautstark lobt er gute Aktionen seiner Mitspieler, warnt vor dem nahenden Gegner, manchmal passiert auch gar nichts, dann ruft er »Come on!« oder mahnt an, den Ball am Boden zu halten und flach zu spielen. Er wird keinen groben Schnitzer machen heute, das kann man nicht von jedem Engländer im Tor behaupten, er wird seiner Mannschaft heute sogar den Sieg retten. Dabei ist er eigentlich gar kein Torhüter. Er heißt Andy Parmley und ist Gitarrist der englischen Band Young Rebel Set, die heute ihre Debüt-LP in Deutschland veröffentlicht und zur Feier des Tages gegen ihr deutsches Label Grand Hotel van Cleef (GHvC) den Klassiker Deutschland gegen England nachspielt.

»Das war so 'ne Daffke-Idee, wie man sie halt manchmal hat«, sagt Thees Uhlmann, Tomte-Sänger, GHvC-Mitbegründer und heute die deutsche Zehn. Weil man halt gerne Fußball spielt. Und weil man sich nach der Musik ohnehin gleich über Fußball unterhalten hat, damals, als er Ende 2009 nach England flog, um die Rebels für den deutschen Markt unter Vertrag zu nehmen, keine drei Wochen, nachdem er erstmals von ihnen gehört hatte. Daß sie immerhin zu siebt sind und heute nachmittag nur minimal ergänzt werden müssen, kam der Idee wohl auch zugute; mit den White Stripes würde man sich vielleicht eher zu einem anderen Sport verabreden. Was so großartig an diesen Sieben sei, daß er damals gleich dort und sie nun hier seien? Die »simpel originäre Musik«, sagt Uhlmann, und »daß sie in der großen englische Tradition mit Songs Geschichten erzählen.«

Auf dem Platz gehen sie in einer anderen großen Insel-Tradition »auch englische-Härte-mäßig in die Vollen« (Halbzeit-Analyse Uhlmann), überraschen daneben aber mit technischen Fähigkeiten und sind für eine Band, die man vor etwa zwei Stunden aus dem Bett geklingelt hat, verblüffend laufbereit. Und nach einem sehenswerten Angriff über die rechte Seite gehen sie in Führung. Irgendwie landet der Ball vor dem links nachrückenden Engländer, er verwandelt energisch.

Es ist Matty Chipchase, Frontmann, Songwriter, Kopf der Band, und auch auf dem Platz also vorn dabei, wenn auch nicht ganz der Spielführer, der er innerhalb der Band ist und wohl auch sein muß, wenn man sich mit sechs anderen auf eine Melodie oder einen Text oder ein Arrangement einigen soll. Wie das geht? »Ich schreibe die Songs und sage, wie sie gespielt werden, kein Problem.« Vielleicht weiß er ein kleines bißchen besser, wo vorne ist, als einziger der Sieben ist er Anhänger von Newcastle United, sonst sind sie alle Middlesbrough-Fans, das ist die nächste größere Stadt neben ihrem Heimatort Stockton-on-Tees.

Matty Chipchase
© netzwort.de » photographie

Sie mögen seine Songs, offensichtlich, seine Statur macht ihn nicht zum Chef, er ist bei weitem der schmächtigste der sieben Rebellen und der einzige, bei dem der Aufdruck ihres Trikots »Birth, School, Stadium, Death« nicht wie die natürliche Biographie anmutet. Ohne seine schmalen Karotten-Jeans, Lederjacke und sein Sonnenbrille, die aussieht wie ein Geschenk von Götz Alsmann, wirkt er im Trikot eher wie ein Literaturstudent, der auch mitspielen darf. Aber mit dem Ball umgehen kann er, sie alle machen keine schlechte Figur. Ob sie viel Fußball spielen in ihrer Freizeit? »Wir trinken viel.« Spaß haben wollen sie, die Dinge geschehen lassen, das gilt auch für ihren heute eingeläuteten musikalischen Deutschland-Start, mal sehen, was kommt, »whatever will be will be.«

Ein Hauch von Barcelona

Ein weiteres Tor fällt, wieder für den Gastgeber, inzwischen steht es 2:1 für die Deutschen. Zurückgekämpft, Spiel gedreht, alles im Lot, wie immer bei wichtigen Spielen gegen England. Doch die Aufholjagd fordert ihren Tribut. »Halbzeit!«, fleht ein sichtlich pumpender Uhlmann in Richtung Schiedsrichter. Um seine Mitspieler ist es nicht ganz so schlimm bestellt. Es ist eine Art Betriebsmannschaft des Labels um Uhlmann und die Kettcar-Musiker Marcus Wiebusch und Reimer Burstorff, der Ex-Praktikant ist auch dabei und ein Azubi, dazu ein paar Freunde. Sie alle können die ganz kleine Revanche für Bloemfontein indes nicht verhindern.

Stattdessen weht ein ganz kleiner Hauchs von Barcelona 1999 über den Kleinfeldkunstrasen des Polizeisportvereins, als kurz vor der Halbzeit eine Ecke der Engländer nach, sagen wir, nicht ganz optimal geglückter Torwartaktion auch noch per Eigentor zum 2:2-Ausgleich führt, den diesmal auch der Schiedsrichter nicht übersieht. Wiebusch wird den Treffer noch eine halbe Stunde nach Abpfiff nicht ganz verwunden haben und als »demoralisierenden« Tiefpunkt es Spiels deuten.

Aber er wird sich auch erfreut darüber zeigen, daß »fußballerisch was ging«, und sich die Engländer nicht als Bolzbanausen entpuppt haben, so genau gewußt hätte man das ja nicht. Sie sind alles andere als das; hinzu kommt in der zweiten Hälfte offenbar eine leichte konditionelle Überlegenheit, zeitweise beherrschen sie das Spiel, sogar vereinzelte Doppelpässe werden gesichtet, und als sie 3:2 in Führung gehen, ist es ein Tor, das Tom Bartels »logisch« nennen würde.

Gerackert haben sie jedenfalls dafür, sie nehmen das Spiel ernst, wie sie überhaupt bei allem Spaß ihre Ambitionen nicht vergessen. Es steckt eine Art unangestrengter Ehrgeiz in ihrem Auftreten, hier auf dem Platz und daneben, und nichts verdeutlicht das besser als die Anwesenheit von Dave Coombe. Er spielt Mundharmonika in der Band, nicht auch, sondern nur, er ist kein Virtuose am Gerät, aber auch kein »Gadget« (Uhlmann), sondern spielt »das halt in totaler Ernsthaftigkeit«, was dem Spaß keinen Abbruch tut, vielleicht gerade deshalb nicht.

Weil sich das nicht ausschließt, kann auch Matty Chipchase über die Bezeichnung als Musiker lachen – man beherrsche ja nicht einmal die Instrumente und wolle einfach Spaß auf der Bühne haben – und trotzdem von »fünf großartigen Alben« in den nächsten Jahren träumen und davon, eine Spur zu hinterlassen als Band. Und deshalb können sie sich einen Riesenspaß daraus machen, das kleine Spiel ernst zu nehmen.

Die Partie ist fast aus, es läuft die vehemente Schlußoffensive der Deutschen, allein fünf Mal kracht der Ball ans Aluminium, zwischendurch setzt Wiebusch noch einen knapp drüber. Nichts davon kann Torwart Parmley erschüttern, bei jedem Ball, der neben ihm an den Pfosten knallt oder knapp vorbeigeht, hebt er so selbstverständlich die Hände zur Entwarnung, als hätte er das schon beim Schuß gesehen, die letzte deutsche Chance vereitelt er reaktionsstark. Abpfiff. Ein zünftiger Jubelschrei von den Engländern, Applaus von den Zuschauern.

Am Ende strahlen alle. Die Engländer, weil sie gewonnen haben, die Deutschen, weil sie Spaß hatten, und Thees Uhlmann wahrscheinlich auch, weil es vorbei ist. Gleich ist dritte Halbzeit, oben, auf dem Dach des Hamburger Medienbunkers. Dann geht der Spaß auf der Bühne weiter.


(Ein bißchen mehr Worte und ein bißchen weniger Patzer als in der »11 Freunde«-Version.)


Nachtrag 11. August: Viele, viele Bilder vom Geschehen sowie ein paar Sachinformationen, die hier verschwiegen wurden, findet man bei Doreen Reichmann.

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