12.11.2009

Die Ehrlichen und die Dummen

Jemand erregte sich kürzlich über eine »Titanic«-Bosheit. Man kann von solchen und den aktuellen Scherzen halten, was man möchte; es ist Absicht und gehört zum Konzept.

Die echten Arschlöcher sitzen ganz woanders.

22.10.2009

Wie die Diebe

Zunächst dachte ich, dass ich die portugiesische Band Adorno ob ihres Namens eigentlich schon mal beschissen finden sollte – sich nach Philosophen benennen (und dann noch nach Teddy), ist kokettierend subversiv und in etwa so albern wie auf 'ner Schaumparty Marx' »Kapital« vorzulesen, oder auf 'ner Marx-Diskussion Partyschaum ins Publikum zu sprühen. Dann wurde mir von einer weisen Dame gesteckt, dass Adorno auch ein portugiesisches Wort ist und soviel wie »Dekoration« bedeutet. Top-Name! Und Top-Anfang auf dieser Split-Single, Adorno steppen jedenfalls ganz schön derwischartig in die Arena. Dann wird's richtig düster. Dann recht wild. Dann recht austauschbar. Dann wartet man aufs Ende der Seite. [...]


Sehr schön. Ein Herr Bockus rezensiert Bands, die nur er kennt, in einer Weise, die nur er kann:

Running Like Thieves

20.10.2009

Der ultimative Charaktertest (I)

Sage mir, was Du hörst, und ich sage Dir weiß, wer Du bist.


Unsicherheit herrscht. Wem kann man vertrauen? Ist der neue Kollege ein akzeptabler Mensch? Ist die neue Freundin der Schwester so nett wie sie wirkt?

Ein Blick ins CD-Regal bringt raschen und oft überraschend zuverlässigen Aufschluß. Nachteil: Nur wenige führen ihr Regal immer bei sich. Man muß sich mit gezielten Fragen behelfen. Mit einigen der folgenden vielleicht. Auch kann man unter Heuchelung von Ironie – natürlich meint man es todernst – den Fragebogen näheren Menschen vorlegen, die man eigentlich für vertrauenswürdig hält, bei denen man aber in diesem wichtigen Bereich Klarheit benötigt.

(Da man in noch Unbekanntes vordringt, müssen die Fragen naturgemäß um mehr oder minder Bekanntes kreisen. Das macht nichts. Auch im sogenannten »Mainstream« treiben Perlen und Schund oft dicht nebeneinander her. Wird der oder die Befragte souverän das eine vom anderen scheiden? – Die Frage nach der Bewertung des Mainstreams erlaubt als solche im übrigen schon erste Rückschlüsse auf den Leumund der Menschen. Nur Idioten fahren immer neben der Hauptstraße.)

Hier ist: der ultimative Charaktertest. Doch aufgemerkt: Wer ihn ernst nimmt, ist schon durchgefallen. Wer ihn nicht ernst nimmt, auch.


Zutreffendes bitte ankreuzen. (Wenn nicht anders angegeben, nur eine Auswahl möglich.)


Gute Bands gibt es überall. Aber alles in allem ist ...

[ ] Brit-Rock doch wesentlich geiler.
[ ] US-Rock eindeutig besser.


Wie peinlich ist es, zu »Midlife Crisis« von Faith No More mit einem Besen als Gitarrenersatz durchs Wohnzimmer zu springen?

[ ] Null!
[ ] Ziemlich!
[ ] Dieses Opus wie auch die genannte Kapelle sind mir leider unbekannt.


Heather Nova ist ...

[ ] nur eine weitere Sängerin.
[ ] ein Engel.
[ ] mir egal.


Die beste Version von »All Along The Watchtower« ist ja wohl klar von ...

[ ] Bob Dylan selbst.
[ ] Dave Matthews.
[ ] Jimi Hendrix.
[ ] ......................


Hansi Hinterseer finde ich ...

[ ] super-sympathisch!
[ ] eher ekelhaft.
[ ] musikmäßig supi, aber er könnte mal zum Friseur gehen.
[ ] frisurenmäßig stark, aber könnte bessere Musik machen. Oder lieber gar keine.


Beatles:

[ ] unterschätzt.
[ ] überschätzt.
[ ] unmöglich zu überschätzen.


ABBA:

[ ] unterschätzt.
[ ] überschätzt.
[ ] richtig eingeschätzt.


Bekannt und für gut befunden (I):
(Mehrfachauswahl möglich)

[ ] Arctic Monkeys
[ ] Crystal Method
[ ] Aimee Mann
[ ] Jennifer Rush
[ ] The KLF
[ ] The Ukulele Orchestra of Great Britain


Die 80er Jahre ...

[ ] waren komplett für den Arsch.
[ ] haben im Rückblick doch erstaunlich viel Brauchbares hervorgebracht. Man muß sich halt die Klamotten wegdenken.


Einen wirklich guten Song erkennt man daran, daß er ganz reduziert (Gitarre/Klavier + Gesang) auch funktioniert.

[ ] Stimmt.
[ ] Stimmt nicht.
[ ] Schwierig.


Es gibt sogar gute Schlager.

[ ] Häh?!
[ ] Klar.


Coverversionen:

[ ] sind eigentlich immer schlechter, siehe z.B. »Where The Streets Have No Name« (U2 vs. Pet Shop Boys).
[ ] können einen Song definitiv auch nach vorne bringen, z.B. »Where The Streets Have No Name« (Pet Shop Boys vs. U2).


Gelegentlich Hip-Hop zu hören ...

[ ] ist absolut akzeptabel.
[ ] geht gar nicht.


Wer gehört nicht in diese Reihe?

[ ] Wir sind Helden
[ ] Die Ärzte
[ ] Element Of Crime
[ ] Die Toten Hosen
[ ] Karat
[ ] H-Blockx


Bekannt und für gut befunden (II):
(Mehrfachauswahl möglich)

[ ] »Remedy«
[ ] »Man Of Constant Sorrow«
[ ] »I Alone«
[ ] »Last Kiss«
[ ] »Plush«
[ ] »Acquiesce«


Brahms, Haydn, Chopin?

[ ] Einige der ganz Großen.
[ ] Das Mittelalter ist vorbei, Opa!


Musikalisch sehr inspirierendes Kino gibt's bei:

[ ] den Coen-Brüdern.
[ ] Quentin Tarantino.
[ ] (Da Mehrfachauswahl hier offenbar nicht erwünscht ist, mache ich hier mein Kreuz und meine damit: bei beiden. Oder muß es hier heißen: bei allen dreien?)


Hey hey, my my ...

[ ] Rock'n'Roll can never die.
[ ] Rock'n'Roll can never survive.
[ ] dideldum, dideldei.


Ein Lösungsbogen erübrigt sich. Wem Recht und Unrecht nicht auf Anhieb ersichtlich ist ...


Beispiel: Wer gehört nicht in diese Reihe?
Kreuz gesetzt bei »Die Toten Hosen« (unter den vorgestellten die einzige Scheißband): Vertrauensverhältnis und/oder emotionale Bindung ist möglich.
Alle anderen Antworten: aus dem Leben verbannen.


... der verfährt in der Auswertung einfach strikt willkürlich. Fertig!

13.09.2009

Sprechen Sie fremd? (2)

Wann beherrschst du eine fremde Sprache wirklich? Wenn du einen beliebigen soziologischen Aufsatz in ihr flüssig und ohne Verständnisverlust runterliest.

31.08.2009

Bebel vs. Lennon

Oder: Wie wir die Demokratie gef***t haben.
Ein Gastbeitrag von Stefan Wedler


Bei der Lektüre eines Artikels über meine ehemalige Schule mußte ich daran denken, wie die zu ihrem heutigen Namen gekommen ist.

John-Lennon-Gymnasium.

Die hieß davor – also auch zu DDR-Zeiten schon – nämlich mal August-Bebel-Schule, und nach der Wende dann eine Weile August-Bebel-Gymnasium. Bis so etwa 1992. Die Demokratie war damals für Schüler wie Lehrer etwas neues und wurde – auf eine durchaus chaotische Weise – aber eben auch an der Schule eingeführt.

Das ging so, daß es Klassensprecher gab, die sich in der Schülervertretung versammelten. Daneben gab es eine Eltern- und eine Lehrervertretung; jedes dieser Gremien entsandte vier Abgeordnete in die Schulkonferenz, in der also jeweils vier Schüler, Lehrer und Eltern saßen und in den durch die Schule zu entscheidenden Fragen gleiche Stimmrechte innehatten.

Ich war damals Klassensprecher und Mitglied der erwähnten Schulkonferenz.

Eine der Fragen, über die die Schule selbst entscheiden konnte, war die ihres Namens. Man denkt ja vielleicht: August Bebel ist doch ok, ein altehrwürdiger Sozialdemokrat, gegen den man nichts haben kann – und es hatte auch niemand etwas gegen August Bebel. Im Gegenteil. Viele waren dafür, daß die Schule auch weiter seinen Namen trüge.

Aber es war auch die Zeit allgemeiner Veränderungen. Der Lehrkörper war ob der neuen Regeln verunsichert und die Schüler waren ob der neuen Freiheiten übermütig.

Also gab es – auch das war etwas neues – eine Projektwoche, in der die Schüler sich mit möglichen Namen für die Schule befassen und ihre Gründe dafür untermauern und die Argumente anschließend vortragen sollten. Daraufhin sollten die Schüler-, Lehrer- und Elternvertretungen jeweils für sich ihren Favoriten küren, und ihre Delegierten sollten schließlich in der Schulkonferenz über den Schulnamen abstimmen.

Es gab drei Vorschläge mit nennenswerter Unterstützung. Die Kunstlehrerin wollte Camille Claudel, die meisten wollten August Bebel und die linkslastigen Teile der Schülerschaft – wir galten nicht zu Unrecht als »Zeckenschule« – waren natürlich für John Lennon. Zum Abschluß der Projektwoche trugen die drei Fraktionen ihre Ansichten vor: Die Camille-Claudel-Befürworter erörterten das Werk der Künstlerin, die Bebel-Freunde beleuchteten sein politisches Wirken und die John-Lennon-Freunde sangen »Give Peace a Chance« auf der Bühne.

Die genauen Abstimmungsergebnisse der Eltern- und Lehrerkonferenz habe ich nicht mehr im Kopf. Ich weiß aber, daß Camille Claudel insgesamt durchfiel und es in der Schülervertretung ein Patt zwischen Bebel und Lennon gab. Es wurde beschlossen, daß von den vier Schülern in der Schulkonferenz zwei für John Lennon und zwei für August Bebel stimmen sollten.

In der betreffenden Sitzung der Schulkonferenz ging es hoch her, denn die Freunde des altehrwürdigen Namens sahen das Erbe eines großen Sozialdemokraten angegriffen, und die John-Lennon-Freunde wollten unbedingt die neue Zeit einführen. Beide Seiten liefen in der Diskussion zu großer Form auf. (Wir hatten in Geschichte und PW [»Politische Weltkunde«] mangels Unterrichtsstoff seit der Wende nichts anderes getan, als uns im Debattieren zu üben.)

Als es zur Abstimmung kam, zeichnete sich die Niederlage der John-Lennon-Fraktion ab: Es stand 7:5 für August Bebel. Lehrer- und Elternvertreter hatten nicht nach Maßgabe ihrer Gremien abgestimmt, sondern nach ihrer Privatmeinung.

Aber wir Schülervertreter waren berauscht von den neuen Möglichkeiten der Mitbestimmung. Wir wollten durchaus die Schule in »John-Lennon-Gymnasium« umbenennen. Unser Einfluß war uns wichtiger als die Demokratie, und das Votum der uns entsandt habenden Schülervertretung interessierte uns nur mäßig. Wir schnupperten Macht – nicht wir Schüler, sondern wir vier in der Schulkonferenz.

Ich behaupte, daß wir bewußt gehandelt haben, als wir begannen, irgendwann nachts um elf das Abstimmungsergebnis in Frage zu stellen – oder vielmehr die Abstimmung selbst. Und zwar mit der Begründung: Die Schülervertretung habe uns einen klaren Auftrag erteilt, wie wir abzustimmen hätten. Dem könnten wir uns nicht widersetzen. – Andrerseits aber hätten Lehrer und Eltern nach ihrer Privatmeinung abgestimmt, was man uns wegen der Gleichbehandlung nicht verweigern dürfte.

Als Lösung dieses Dilemmas propagierten wir, daß wir Schüler – offenbar die einzigen mit einem klaren Auftrag ihres Gremiums – jeder zwei Stimmen hätten, um sowohl dem Votum der Schülervertretung, als auch unserer Privatmeinung Rechnung zu tragen.

Ich weiß nicht, ob es die späte Stunde war, oder ob wir Lehrer und Eltern wirklich erfolgreich an die Wand geredet hatten – jedenfalls wurde die Abstimmung nach Mitternacht wiederholt, und diesmal hatten zwölf Leute plötzlich sechzehn Stimmen – Lehrer und Eltern jeweils eine und die Schüler jeweils zwei.

Das Blatt hatte sich gewendet, und es stand nun 9:7 für John Lennon.

Ich verstehe bis heute nicht, warum die Eltern- und Lehrervertretung sich diese absurde Begründung für den völlig abartigen Abstimmungsmodus – das genaue Gegenteil gleicher Wahlen – haben bieten lassen. Aber sie haben es geschluckt. Und wie Sie der Zeitung entnehmen können, heißt die Schule heute noch John-Lennon-Gymnasium.

Jedes mal, wenn die Schule in den Medien oder in Gesprächen erwähnt wird, muß ich an diese denkwürdige Übung in Demokratie denken. Dann lächle ich still in mich hinein und sage mir:

Das waren noch Zeiten, als die Demokratie noch ganz neu und weich und formbar war.

Herrliche Zeiten, als die Strukturen noch nicht verkrustet waren und es nichts als ein paar wortgewandte Gymnasiasten brauchte, um Erwachsenengremien zu überrumpeln und ehrwürdige Schulen nach suspekten Kiffern zu benennen.

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