07.05.2006

Mainz schlägt München

Oder: Vom kleinen großen Glück im Abstiegskampf

Der FC Bayern München hat seine Vormachtstellung in der Fußball-Bundesliga eindrucksvoll untermauert. Der Respekt gilt allen dafür Verantwortlichen – als Fußballfan schaut man dennoch lieber in andere Regionen.

6. Mai 2006: Es war der vorletzte Spieltag der Fußball-Bundesliga; er hatte uns einiges zu bieten. Ein historischer Erfolg wurde gefeiert, und es gab Freudentänze, seliges Singen, sogar Tränen sind geflossen.

Bemerkenswert aber, daß beides an ganz verschiedenen Orten stattfand.

Der FC Bayern München errang durch ein Unentschieden in Kaiserlautern vorzeitig seinen 20. Meistertitel; der zweiterfolgreichste Verein, Borussia Mönchengladbach, brachte es bisher auf fünf. Wie im Jahr zuvor haben die Süddeutschen in dieser Saison auch den DFB-Pokal gewonnen – das sogenannte Double war somit verteidigt. Das hatte in der Bundesligageschichte noch niemand geschafft. Man freute sich darüber und war ganz zurecht stolz auf diese Leistung.

Die strahlenden Fans aber, denen der Fußball an diesem vorletzten Spieltag alles zurückgab – die waren woanders. Sie feierten in Frankfurt und in Mainz. Nichts haben sie gewonnen, keinen Pokal, keine Meisterschaft, gar nichts. Und doch gleichzeitig alles: Sie sind nicht abgestiegen. Sie dürfen in der nächsten Saison wieder im Konzert der Großen mitspielen.

Nicht abgestiegen. Allen, die mit ihrem Herzen dabei sind, leuchteten diese zwei banalen Worte aus den Augen; den Spielern, den Trainern, den Anhängern. Es war nicht selbstverständlich. Für den FSV Mainz 05 etwa war es das schwere zweite Jahr in der Bundesliga, man ist nicht mehr so unbefangen und man wird nicht mehr so unterschätzt wie im ersten. Der Verein hat den kleinsten Etat der Liga, alles ist hier sehr begrenzt: die finanziellen, die spielerischen, alle Mittel. Ähnlich ist es in Frankfurt und in Kaiserslautern.

Aber sie kämpfen. Sie spielen aufopferungsvoll für ihren Club. Sie spielen für die Fans. Und die Fans sind Teil dieses Spiels. Sie unterstützen ihre Spieler, feuern sie an, applaudieren, trösten die Mannschaft, richten sie wieder auf; sie gehören dazu. Sie identifizieren sich mit ihren Jungs auf dem Rasen, und die Spieler identifizieren sich mit ihnen.

Sie haben ihr gemeinsames Ziel: in der Liga bleiben. Es ist schwer, aber es ist möglich. Dafür kämpfen sie, dafür kommen sie ins Stadion; dieses Fußballfieber verwandelt sich in ehrlich empfundenes Glück, wenn es klappt. Oder in tiefe Trauer, wenn nicht. Aber in jedem Fall: in echte Emotionen.

Ein gemeinsames Ziel haben auch der FC Bayern München und seine Fans, nur etwas weiter oben. Was sie nicht haben, ist diese strahlende Freude, wenn es erreicht ist. Zu selbstverständlich sind die Titel geworden. Nichts zeigte das deutlicher als das verteidigte Double: Im größten Erfolg der deutschen Fußballgeschichte wirkte die Freude seltsam verhalten, seltsam eingeübt, seltsam pflichtbewußt.

Doch nichts daran ist seltsam. Das eine folgt aus dem anderen: Erst eine jede Überraschung beinahe ausschließende Überlegenheit macht solche Triumphe möglich – doch gleichzeitig erstickt sie die lebendigen, überschwenglichen Glücksgefühle, die nur möglich sind, wenn man alles gewinnen, aber auch alles verlieren kann, wenn der Weg zum Triumph von Spannung, von Fußballfieber, von Rückschlägen begleitet ist.

Nun kann man den Münchnern nicht vorwerfen, daß es bei ihnen daran meist fehlt. Darin besteht ihr Dilemma. Ein Luxusdilemma, ohne Frage – aber dennoch eins. Der Dauererfolg kostet Ausstrahlung. Unvermeidliches Schicksal eines Spitzenclubs? Nicht ganz. Zwar sind Siege bei allen solchen die Regel und werden eher erwartet als gefeiert. Man kann nur noch verlieren. Dennoch ist es etwa in Spanien oder England oder Italien an der Spitze wohl weniger öde. Auch hier siegen die Top-Vereine regelmäßig – aber es gibt nicht nur einen davon. In Spanien fesselt seit Jahrzehnten das Duell FC Barcelona gegen Real Madrid. In Italien gibt es mit Turin, Mailand und Rom drei starke Fußballmetropolen. In England sind trotz der aktuellen Dominanz des FC Chelsea auch Manchester United und Arsenal London ernsthafte Konkurrenten.

Das fehlt der Bundesliga – und letztlich fehlt es auch dem FC Bayern München. Nicht ohne Schuld: Indem sie potentiellen Konkurrenten die Schlüsselspieler und damit das Potential wegkaufen, erhalten und festigen sie ihre Überlegenheit; doch irgendein inneres Fußballfeuer kann man so kaum entfachen. Erwartete Siege und Titel strahlen und zünden nicht. Borussia Dortmund schien vor einiger Zeit ein dauerhaftes, gleichstarkes Gegengewicht werden zu können; zu schnell aber wollte man zu hoch und fiel tief. Was bleibt, sind Überraschungsmannschaften, die in einer Traumsaison auch die Bayern distanzieren können. Aber eben nur einmal. Um so größer ist dann die Freude der Überraschungsmeister – im gleichen Maß verkommt sie in München zum Routinejubel des Erwarteten.

Das ist das kleine große Glück der Kleinen. Niemand, der im Abstiegskampf steckt, kann den Erfolg erwarten. Weil das Potential für breitere Siegesgewißheit fehlt, steckt man ja da unten drin. Und es dann zu packen, mit Einsatz, mit Herz und mit ein wenig Glück – wieviel schöner ist zumindest dieser erfieberte Augenblick des kleinen Triumphs als eine lange feststehende Meisterschaft.

In München ist man zufrieden. In Mainz oder in Frankfurt ist man glücklich. Das ist der Unterschied. Das ist das Glück, das man niemals kaufen kann.

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