02.12.2007

Vom Telefone

»Die verteidigende Form des Kriegführens
ist an sich stärker als die angreifende.«
(Carl von Clausewitz: »Vom Kriege«, Zweiter Teil, 6. Buch)


Was lernen wir daraus? Der Mann hatte kein Telefon. Beim Telefonieren ist der angreifende Anrufer definitiv im Vorteil: Er bestimmt den Zeitpunkt, er setzt das Thema, er ist auf das Gespräch eingestellt. Das ist vom Angerufenen, der gerade aus dem zweiten Satz der Siebten gerissen wurde, nicht aufzuholen; zudem hat (oder hatte, dazu kommen wir gleich) der Anrufer immer noch Gelegenheit, sich kurzfristig und unerkannt wieder zurückzuziehen. Er kontrolliert die Lage. Selbst bei der stärksten Form der Verteidigung – nicht ranzugehen –, bleibt für den Angegriffenen ein Verlust zu beklagen, nämlich jener der Ruhe oder der Unversehrtheit der Situation. Mit dem Schrillen des Telefons bekommt er, von vereinzelten Sonderfällen abgesehen, die Arschkarte zugeschoben.

Jedoch hat eine (nicht mehr ganz) neue Technik die Gewichte ein wenig verschoben; sie nimmt dem Anrufer etwas von seinem Vorsprung, sie drückt dem Angerufenen – um im martialischen Bild zu bleiben – eine neue Waffe in die Hand. Die Rede ist von der Rufnummernanzeige.

Wo früher der Angerufene durch die Ungewißheit, wer denn da mit welchem Begehr läutete, zu völliger Zurückhaltung in Ton und Wortwahl verurteilt und damit gnadenlos im Hintertreffen war, hat sich nun zumindest an dieser Stelle das Kräfteverhältnis ins Gegenteil verkehrt. Der Angerufene weiß Bescheid. Nun ist es am Anrufer, im Ungewissen zu verbleiben, zumindest während des Wartens: Ist tatsächlich niemand anzutreffen, oder verweigert der gewünschte Gesprächspartner in Kenntnis der Anruferidentität sein Ohr? Dieser wiederum kann sehr viel kalkulierter seine Entscheidung treffen: abnehmen oder nicht, und wenn ja, wie?

Denn zudem liegt die Gesprächseröffnung jetzt bei ihm. Wo er vormals neutral sich melden und händegebunden der weiteren Dinge harren mußte, gibt er nun den Ton vor. Wortschatz und Vortrag kann er offensiv und zielgerichtet an der anrufenden Person ausrichten; die Tonlage ist kein Kompromißprodukt mehr, das auf alle möglichen Situationen passen muß. Ein lieber Mensch kann so lieb empfangen werden, wie es früher kaum möglich war: Es konnte ja auch ein Fremder dran sein oder Onkel Gernot. Ebenso kann man sich nun bewußt mit einer gewissen Kühle melden, wenn man gewisse Nummern sieht. Oder bewußt seriös oder sehr albern, man kann sich müde stellen oder aus Spaßgründen vorgeben, jemand ganz anderes zu sein; man kann die übertragene Zusatzinformation nutzen, wie man möchte.

In Zeiten des Mobiltelefons beobachtet man das nicht nur bei sich selbst, sondern (leider immer und überall) auch bei anderen, wenn sie nicht, wie früher üblich, neutral »Hallo?« ins Gerät sprechen, sondern »Na, Schatz?« hauchen oder »Was denn noch?« brüllen. (Gewiß, ein Restrisiko bleibt, daß nicht der- oder diejenige in der Leitung ist, den oder die die angezeigte Nummer nahelegte. Doch das betrifft den Anrufer in vermindertem Maße ebenso, etwa wenn er sich verwählt oder beim Anrufen in Vielpersonenhaushalten.)

All das kann man nun. Aber auch weiterhin kann man nicht wissen, womit man belästigt wird, weiterhin ist man der Zeitpunktwahl des Anrufers ausgeliefert. Insgesamt gilt daher auch weiterhin: Die anrufende Form des Gesprächführens ist an sich stärker als die angeklingelte.

von maltiger | 03.12.2007, 12:00 | [Link]

Wer zum Teufel ist Onkel Gernot?


von stw | 03.12.2007, 18:41 | [Link]

Die metaphorische Verdichtung alles Bösen in der Familie.
Der Arme.


vorherige Seite →← nächste Seite