19.02.2008

Die Wortspielkritik

Hamburg wählt am Sonntag. Zu Wahlen gehört Wahlkampf, zum Wahlkampf gehört Wahlwerbung, und Werbung möchte gern kreativ sein. Man spielt mit Sprache – und Aussagen, Behauptungen und Lügen münden in Wortspiele. Zum Beispiel:

»Wir wissen wie man Wissenschaft.«

Na das ist aber hübsch, meint vielleicht mancher, und er hätte komplett unrecht, denn das ist ganz und gar nicht hübsch, sondern häßlich. Der Reihe nach: Wir vermerken positiv, daß der Gleichklang von Wissenschaft und der 3. Person Singular von Wissen schaffen erkannt – und versucht wurde, den in weitem Sinne vorhandenen inhaltlichen Zusammenhang deutlich zu machen. Auch der Versuch, das Gesamtwortspielereignis mit einem weiteren wissen klanglich abzurunden, darf lobend erwähnt werden.

Jedoch können auch diese zwei Pluspunkte den dicken Minuspunkt nicht aufwiegen: Das Ergebnis ist schlecht, schlecht, schlecht. Für ein hochwertiges Wortspiel der Premiumklasse genügt es nicht, nur eine Doppeldeutigkeit aufzuschreiben; elegant formulierten Zweifachsinn im Ganzen erwartet hier der Leser. Und hier scheitert unser Beispiel.

Zunächst noch ist alles geschmeidig. Der gedankliche Klang bildet trotz des anderslautenden Schriftbildes den Satz: Wir wissen wie man Wissen schafft. Prima, könnte man denken, das ist doch gut, und man könnte weitergehen. Aber eben wegen jener leicht abweichenden Schreibung verweilt man kurz und liest*: Wir wissen wie man Wissenschaft.

Den Sinn der klanglichen Variante haben wir verstanden, was aber ist der engere Sinn der geschriebenen? Wir wissen wie man Wissenschaft? Wir wissen wie man Wissenschaft – was? Auch wenn uns klar ist, was man damit meint: Der Satz funktioniert nicht, und damit ist das Wortspiel bei allem guten Willen im Eimer. Stolpersprache. Zweite Liga. Schlecht.

Erste Liga und gut geht anders, schauen wir nur einmal ins Wortspielpanoptikum. Dort finden wir etwa:

»Immer mehr Billiardspieler spielen Schach. Grund: Sie finden den Kö-nich.«

Ein Wort, zwei Bedeutungen, zwei Sinne, das Ganze funktioniert sehr elegant: Wortspielerei von Qualität. Und auch mit dem Sujet unseres Ausgangssatzes kann Akzeptables gelingen, zum Beispiel im Vorharz. Dort heißt es:

»Willkommen in Göttingen. Die Stadt, die Wissen schafft.«

Wissen schafft oder Wissenschaft, Relativsatz oder Aufzählung: beides flutscht, das Ergebnis ist solide und zumindest nicht tadelnswert.

Ende. Die Frage, ob in dem vorgestellten Ausgangswerk nicht überhaupt ein Komma fehlt, klären Sie am besten selbst.


*) Womit eines der wichtigsten Ziele der Plakaterfinder natürlich schon erreicht ist. Aber darum geht es ja nicht. Schließlich sind wir hier bei netzwort.de, nicht bei netzprimaerziel.de.

von Rusty | 01.04.2008, 17:59 | [Link]

Vielen Dank für die Erwähnung! Backlink kommt, sobald die neue Version online ist.


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