05.11.2008

Luxauge

Die ziemlich unregelmäßige Kolumne

Bis Ohio

von Christoph Robert Lux


»Wenn Du Dir schon in den Kopf gesetzt hast, Dir die ganze Nacht um die Ohren zu schlagen, nur um die Entstehung eines Ergebnisses mitzuverfolgen, das Du sehr ausgeschlafen in aller Ausführlichkeit am nächsten Morgen tausendfach serviert bekommst, dann kannst Du das ja mit Deinem unvermeidlichen Bleistift in Deinem geliebten Notizbuch festhalten, um dem möglicherweise historischen Ereignis eine Fußnote in Form einer Dokumentation subjektiven Miterlebens beizufügen«, wurde mir so nicht gesagt, aber so ähnlich.

Yes, I can. Ich habe mir das in der Tat in den Kopf gesetzt. Der Hype um die US-Wahl hat mich angesteckt, und mit Paul Auster bin ich der Meinung, daß alles relativ offen ist und schwer absehbar. Spannend, spannend.

Die Nacht der Entscheidung, die Nacht auf dem Sofa.

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21:57 Uhr – CNN verbreitet sich zu den Wetteraussichten im Kongo. Noch ist Zeit offenbar.

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22:24 Uhr – Auf arte noch einmal der Wahlabendklassiker, die einstimmende Portraitierung der Kandidaten. Gerade fällt der Satz: »Obama ist ein Poet.« Mag sein. Ich bin gespannt, wie viele phonetische Varianten seines Namens wir in dieser Nacht zu hören bekommen. Von Bräck Oubäma bis Baragg Obamma ist das Feld in den letzten Monaten schon sehr weit abgesteckt worden.
Vergangene Auftritte Obamas auf dem Weg zur Kandidatur. Eine gewisse Coolness in Gestik und Mimik wird ihm keiner absprechen können.

McCain wird gezeigt, Auftritt in Arizona. »In Arizona gibt es so wenig, daß die Bäume die Hunde jagen.« Ein Witz wohl. Nur wenige lachen, denn es sind nur ein Dutzend Leute da, und die auch noch schwerhörig. Alte Kriegsveteranen. Aus welchem Krieg, wird nicht gesagt.

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22:41 Uhr – Kommt heute eigentlich die »Daily Show« auf dem deutschen Comedy Central? Laut Videotext nicht, dafür läuft gerade »Obama & Greg«. Das lese ich im ersten Moment. »Dharma & Greg« heißt es. Ich bin ganz offensichtlich gut eingestimmt.

Zurück zu arte, das war ganz interessant und schön bebildert. McCain ist wieder dran. »I promise you«, beendet er gerade einen Redeteil. Er sagt: Ei prommischu. Erst seit ich mal gelesen habe, daß seine geschwollene Wange von einer Hautkrebsoperation kommt, fällt mir die Schwellung überhaupt auf. Dafür aber zuverlässig.

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22:49 Uhr – Blick ins Erste, ob es da schon losgeht. Es geht um Frings und Löw und um Entschuldigungen. Im ZDF eine Vorschau auf Maybritt Illners Talkshow, Thema: »Supermacht sucht Superman«. Wer denkt sich nur solche Titel aus?

Auf CNN beginnt der Countdown, »First polls close: 01:08:46«. Die Uhr tickt herunter. Noch ein bißchen hin.

Im ZDF der unvermeidliche Johannes B. Kerner, mit Wahlsondersendung natürlich. Mit in der Runde steht diese merkwürdige Komikerin, Gayle Tufts. Sie schalten zu Claus Kleber, der mit einem Laptop im Flur eines Krankenhauses sitzt oder irgendwo, wo es so aussieht. Weiß er, daß er gerade etwas gefragt wird? Er sitzt und schaut in die Gegend wie unbeobachtet. Aber schon antwortet er. Ein echter Profi.

Auch in der ARD wird's ernst. Ist das Jörg Schönenborn? Tatsächlich. Der Mann mit den Zahlen. Wie der immer mit dem Kopf wackelt.

Ich mache es wie die Leute auf allen Kanälen auch, die sich von einem Korrespondenten zum nächsten schalten: Ich zappe bunt durch. Alles sehr ähnlich.

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22:57 Uhr – Und wenig los noch.

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23:06 Uhr – CNN-Countdown: noch 00:53:20 bis zu den ersten Wahlschließungen. Immer wieder Bilder von den langen Schlangen vor den Wahllokalen. Ist doch gut, wenn viele hingehen, je mehr, desto besser. Das Positive am Hype.

Auf N24 schraubt ein junger Mann etwas zusammen, ein anderer erklärt ihm dann, wie er es noch einfacher hätte zusammenschrauben können. Reportage aus deutschen Werstätten? Interessiert mich im Augenblick nicht so.

n-tv hingegen schon mit Live-Wahlberichterstattung, sogar schon mit eingeblendetem Wahlmännerzwischenstand. 0:0 steht's. – Jetzt erklärt der Moderator gerade, diese kleine Tafel sei der eingeblendete Wahlmännerzwischenstand. Gut bin ich.

Was ich übrigens auch bin: für Obama. Ich kenne ihn nicht, ich sehe ihn auch nicht als Erlöser, letztlich ist er auch nur ein Politiker in einem politischen System. Mit allen Abhängigkeiten, Sachzwängen und so weiter. Mit geht es – wenig fortschrittlich – in erster Linie um die Hautfarbe. Nur andersrum als im Vorfeld meistens und auch jetzt gerade überall thematisiert wird. Die antirassistische Symbolwirkung eines schwarzen Präsidenten der USA halte ich für sehr groß.

Obwohl natürlich die Vizekandidatin des Konkurrenten McCain, Sarah Palin, auch nicht schlecht aussieht, wie ich immer wieder feststelle, zum Beispiel gerade auf CNN.

Zapping.

Professor Henry Kissinger spricht gerade zu Johannes Kerner. Er wirkt leicht sterbend dabei. Wie alt ist der eigentlich? Den Wahlausgang möchte er allein zu Hause verbringen, »damit ich mich nicht mit so vielen Leuten unterhalten muss.« Ich kenne das Gefühl. Oder ist das bei ihm der Kerner-Effekt?

Auf ProSieben beginnt gerade TV total. »Live aus Washington«. In Ton und Aufmachung ein bißchen so, wie es Harald Schmidt früher gemacht hat bei parallel stattfindenden Großereignissen.

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23:24 Uhr – Auf n-tv begrüßt man die Zuschauer zur n-tv-RTL-Bertelsmann-CNN-Wahlparty in Berlin. Ich glaube, so war die Reihenfolge.

Immer wieder zieht es mich zu CNN, die sind ja am nächsten dran, denke ich. Rudolph Giuliani ist gerade im Bild, der Harte von New York. Früher. Einer jener Menschen, denen ein lachendes Gesicht nicht zum Vorteil gereicht. Außer sie sind Gruselfilmdarsteller.

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23:28 Uhr – Meine Frau zieht es vor, zu Bett zu gehen. Ob ich ein wenig leiser stellen könne. Und ich solle nicht immer so wild umherschalten. Ich drehe leiser, aber das andere müsse so, sage ich.

Bei Kerner auch noch ein anderer amerikanischer Komiker, der deutsch spricht. Thema gerade: der Humor der Kandidaten; ihre Auftritte in den einschlägigen und bekannten Shows. Hübsche Ausschnitte. Kerner: Obama bei Letterman oder Stewart und Palin bei Saturday Night Live, das sei ja, als ob Merkel bei Pocher und Steinmeier bei Raab säßen. Schnell weg.

Bei Raab selber ein lustiges Tickerlaufband mit Tickerfloskelverarsche und ein paar Albernheiten. »+++ Demoskopen: Der Drops ist noch nicht gelutscht +++ Scheiße, ist das spannend +++«

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23:44 Uhr – Noch keine Breaking News, es diskutieren allerorten die Experten. Auf CNN zum vermutlich nicht allererstenmal die Frage nach der Bedeutung eines »african american as president«. Einer sagt, daß das in erster Linie signalisiere, daß die USA ein Land seien, in dem tatsächlich alle Staatsbürger alles erreichen könnten. Genau, denke ich. Das meinte ich ungefähr. So paradox es klingt: Die Hautfarbe ist wichtig, um zu zeigen, daß sie völlig unwichtig ist.

Und wenn wir das irgendwann noch von den USA auf die ganze Welt übertragen können; wenn nicht nur alle US-Bürger in den USA – theoretisch – alles erreichen können, sondern alle Menschen überall auf der Welt, dann wäre das schön.

So schön vielleicht wie die »Magic map« bei CNN, wo der Moderator immer drauf rumtippt und die passenden Grafiken herbeizaubert, Bundesstaaten, Stimmenverteilung, etc. Unter bakteriellen Gesichtspunkten auch nicht jedermanns Sache, dauernd irgendwo draufzuditschen.

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00:00 Uhr – So, langsam wird es Zeit für erste Hochrechnungen. CNN vermeldet immerhin erste »closed polls«. Es wird spannend(er).

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00:13 Uhr – Oh, BBC World nun auch auf Sendung. Beziehungsweise auf Empfang, statt des rührigen Lokalkanals. Sonst wechseln die doch immer viel später. Im Vergleich viel unaufgeregter, ganz ohne zweitausend Einblendungen und Laufticker und alles. Noch nichts Aktuelles, ein paar Beiträge rund ums Wahlgeschehen.

Das ZDF sendet inzwischen von einer riesigen Wahlparty, große Bühne mit großem Bildschirm im Hintergrund und mit Publikum. Bei heimischen Wahlen ist bedeutend weniger los. Überhaupt, die ganzen Wahlpartys. Gibt's das auch, wenn Peru wählt? Irgendwo bestimmt.

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00:25 Uhr – Im Ersten antwortet Gerd Ruge bei Sandra Maischberger. Ich dachte, der macht Rußland. Aber die US-Wahlen betreffen ja alle und alles, wie immer versichert wird. Und man muß ja auch die Zeit rumkriegen, denn noch tut sich nichts Brandaktuelles offenbar.

Auf 3sat Martin Walser. Hat aber nichts mit der Wahl zu tun, sondern scheint irgendeine Preisverleihung zu sein. Die Brauen hängen ihm mittlerweile fast komplett über die Augen.

Die BBC zieht unterdessen, wohl auch nicht zum allererstenmal, Parallelen zur Wahl Kennedy vs. Nixon.

Zapping. Immer noch keine Ergebnisse. Doch halt. Erste Zahlen aus Indiana und Kentucky seien eingetroffen, heißt es bei CNN. Ich hätte nichts dagegen, wenn man dazusagte, wie sie lauten. Sind es die, die da im Wechsel eingeblendet werden? Demnach führt Obama in Indiana, McCain in Kentucky. Hmhm. Naja, ein paar Prozent der Stimmen sind wohl erst ausgezählt. Weiter warten.

0:0 immer noch. Überall.

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00:45 Uhr – Im Ersten immer noch Maischberger und Gerd Ruge und die anderen. Ruge ist gerade wieder dran. Warum sitzt er jetzt auf der anderen Seite? Der saß doch vorhin rechts?

RTL jetzt mit n-tv-Programm, die sind also auch dabei jetzt und berichten über »Bäreck Obama«, wie die Frau gerade sagt. Ansonsten erstaunlich wenig phonetische Variationen bisher.

Auf Phoenix ein Bericht über Wahlhelfer/-überwacher. Eine Frau erzählt von massenhaften Telefonanrufen, bei denen Leuten erzählt wird, die Wahl sei nicht am 4., sondern am 5. November – damit sie dann auf jeden Fall zu spät kommen. Dreist.

Phoenix-Experte: Wahl stark auf Personen fixiert, weniger auf Programme. Starker Tobak! Ganz was Neues, das kennt man ja bisher überhaupt nicht von Wahlen.

Bei n-tv/RTL stößt Peter Kloeppel dazu, es wird also langsam ernst.

In der CNN-Graphik holt McCain in Indiana auf, Obama in Kentucky; ganz im Gegenlaut zu den ersten Rechnungen. Vielleicht sollte man sie einfach noch ein bißchen zählen lassen.

Noch nicht mal eins. Werde schon müde langsam, und es ist noch gar nichts passiert.

Auf Phoenix der langhaarige USA-Experte. Auch immer dabei. Und die Meldung, daß Obama Vermont gewinnt. Laut MSNBC, mit dessen live-synchronisiertem Programm man hier den Abend bestreitet.

Obama vs. McCain: 3 zu 8 inzwischen auf allen Sendern, wahlmännermäßig. Also praktisch 0:0. Die Lieblingsformel der Berichterstatter beginnt sich zu etablieren: »Too close to call.«

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01:27 Uhr – Warten allüberall; Zwischenberichte, Analysen, Portraits, Spekulationen, etc., wohin man auch zappt. Was sollen sie auch tun?

Immerhin: auf CNN erste Hochrechnungen für Florida zugunsten von Obama. Nach 1 % ausgezählter Stimmen. Naja. Aber es ist ein Anfang.

»Die McCain-Kampagne« / »die Obama-Kampagne« macht dies und macht das. Können die das nicht etwas phantasievoller übersetzen? Das klingt immer so anbiedernd wichtigtuerisch. Vielleicht bin auch einfach nur zu müde schon.

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01:39 Uhr – SAT1/N24 mit eindrucksvoller Tickerüberschrift. »Machtkampf in Amerika: McCain liegt vor Obama«. Ja, mit 8:3. Bei nötigen 270. Und nach nullkommairgendwas insgesamt gesichteter Stimmen. Aber gut, sie lügen ja nicht.

Aber noch besser ist der Ticker selbst: »Obama wartet die Stimmenauszählung in seinem Haus in Chicago ab.« Hot news. Und Lux trinkt Tee dabei. Ein bißchen wie bei Raab, nur leider ernstgemeint.

Was machen die anderen? Nicht viel. Alle warten. Und reden.

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01:45 Uhr – n-tv/RTL: »Die einfachen Russen würden für Obama stimmen«, sagt der Moskau-Korrespondent gerade. Und die mongolische Mittelschicht? Was reden die alle? Es wird Zeit, daß sich etwas tut. Irgendwann fällt selbst denen nichts mehr zu sagen ein.

Gegen zwei schließen ja ein Haufen weiterer Wahllokale. Aber bis die dann halbwegs ausgezählt sind ...
Wie lange werde ich durchhalten?

Im Ersten befragt Monica Lierhaus Leute, die auch irgendwas mit Amerika zu tun haben. Heute nacht darf jeder mal.

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01:52 Uhr – South Carolina für McCain; n-tv/RTL weiß es noch vor der BBC. CNN macht gerade Werbung. – Als sie wieder da sind, liegt bei ihnen Obama vorn in South Carolina. Hmm. Aber die BBC wertet auch für McCain, 16:3 jetzt insgesamt.

CNN zieht jetzt nicht nur nach, sondern präsentiert eine erste Festlegung für mehrere gewählt habende Staaten: 77:34. Für Obama. Na gut. Weiter so!

Jörg Schönenborn rechnet in der ARD ähnliches vor, ist indes schon viel weiter. Hier steht es 102:34. Sieht doch gut aus. Aktuelle Privatprognose: Er wird's schon packen.

Man könnte beinahe an Schlaf denken. Die BBC legt sich auf 103:34 fest. 102 (ARD)? 103 (BBC)? Hmm. Einer hat sich wohl verzählt. Bei SAT1/N24 ist man noch ganz woanders. Hier führt nach wie vor McCain.

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02:13 Uhr – Inzwischen sagen alle Sender etwas anderes. Es tut sich was. Wie kommt die ARD auf 102?

Eben noch vorgeprescht, hängt n-tv/RTL nun ein wenig hinterher (82:34). Obama ist dreistellig, Peter! CNN ist noch vorsichtiger. 77:34.

Die ARD erhöht auf 103.

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02:37 Uhr – Das Zeigen an dieser Zauberkarte von CNN hat ein bißchen was von »Minority Report«: rein- und rauszoomen, Details hervorheben, markieren; auch die Art, wie der Typ das bedient. Very future. Er redet nur mehr dabei.

Entweder sind sie langsamer oder vorsichtiger bei CNN. 81:34 heißt es hier. – Kaum denkt man's, sind sie bei 102. Wie kommt das? Es gibt doch keinen Ein-Wahlmann-Staat?

n-tv/RTL und BBC wieder vorne dran, aktueller Stand dort: 103:49.

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02:47 Uhr – n-tv/RTL sogar wieder ganz vorn. 103:58. Mal wieder was für McCain. Dafür geht offenbar einer der sogenannten Swing States, Pennsylvania, an Obama, was wohl schon richtungweisend wäre. Ist das jetzt in den 103 Zählern schon drin?

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03:02 Uhr – Nachdem der USA-Kenner auf Phoenix erklärt hat, daß die US-Sender tatsächlich tendenziell vorsichtig und zurückhaltender bei Prognosen sind, um sich spätere Rückzieher zu ersparen, steht es ausgerechnet auf CNN plötzlich 174:49. Das ZDF hat 175. Was ist das für ein [Notiz unlesbar]?

Und alle erzählen, was die »Kampagnen« machen.

BBC: 175:76.

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03:10 Uhr – arte greift ein. Und wie. 183:106 heißt es hier wie nirgendwo sonst.

Müdigkeit. Und wachsende Zuversicht, daß es reicht. Übereinstimmende Meinung der Kommentatoren: McCain müßte alle knappen Staaten holen, um zu siegen, Obama irgendeinen davon. Das müßte ja drin sein. Wenn man nur Florida schon wüßte ...

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03:24 Uhr – Ohio wohl für Obama. Sagt Jörg Schönenborn, der wie die RTL-Leute allerdings gerne erst die Meinung der »amerikanischen Networks« abwarten möchte. Aber es stimmt wohl. Das dürfte es dann gewesen sein, wenn der Rest des Landes nur annähernd so demokratisch oder republikanisch wählt wie gewohnt und erwartet.

Ich bin so müde.

Die BBC zieht nach in Sachen Ohio, 195:76 jetzt insgesamt. Rechnen wir auf die 195 noch die 55 aus Kalifornien drauf, dazu noch ein paar kleinere Staaten, dann sind wir locker bei: na bitte. arte meint forsch: 200:109.

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? Uhr – Eingeschlafen.

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? Uhr – Wieder aufgewacht.

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08:32 Uhr – CNN sagt: 338:160. Das sieht sehr nach Entscheidung aus. Und es sieht auch noch sehr gut aus. Sehr viel besser als ich zu hoffen wagte.

Ich gehe schlafen.

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