01.12.2009

Denn sie müssen nicht, was sie tun

Man weiß gar nicht, was peinlicher ist: Sportreporter, die vergessen haben, daß sie Journalisten sind, oder Sportreporter, die so tun als wären sie richtige Journalisten. Erstere haben vor allem im Bayerischen Rundfunk die Methode perfektioniert, völlige Distanzlosigkeit in Frageform zu gießen. Letztere sind die, die immer dann unbequeme Fragen stellen, wenn sich ihr Gegenüber gerade in der schwächstmöglichen aller Fußballpositionen befindet: ein Trainer oder sonstig sportlich Verantwortlicher, dessen Mannschaft die letzten fünf, sechs, sieben Spiele verloren hat.

Aufgeregt für:

Dann sind sie alle da und werden auf einmal das, was sie wohl kritisch nennen. So war es zu Beginn der Saison in Berlin, später in Stuttgart, es wird sich in Köln wiederholen, vielleicht sogar noch einmal in Berlin. Gemeinsam lauern sie den Favres, Babbels, Soldos und ihren Sportdirektoren auf und haken nach. Sie tun das mit einer harmlos anmutenden Floskel, die in Wirklichkeit eine der ekelhafteren aus dem Reporterrepertoire ist und so geht: Ich muß das jetzt fragen.

Ich muß das jetzt fragen: Herr Babbel, wie schätzen Sie die Sicherheit Ihres Arbeitsplatzes nach den letzten Ergebnissen ein? – Die Frage muß in dieser Situation kommen: Hat Ihr Trainer noch das Vertrauen der Vereinsführung? – Lucien Favre, Sie wissen, ich muß das jetzt fragen: Haben Sie den Eindruck, beim nächsten Spiel noch auf der Trainerbank sitzen?

Warum sie das fragen müssen, erwähnen sie nicht. Natürlich nicht, sie müssen ja keineswegs. Diese Einleitung ist nichts anderes als eine vorausgeschickte Rechtfertigung, daß gleich etwas kommt, das dem Fragenden selbst nicht ganz geheuer ist – aber raus muß. Die behauptete Recherchepflicht soll das billige Vorführen argumentloser Gesprächspartner kaschieren und die schreiende Unoriginalität der Frage.

Faltige Stirnen und billige Siege

Um welche neue Nachricht könnte es auch im Ernst gehen? Die einzige Antwort mit Informationswert (»Der Trainer fliegt morgen.« / »Ja, ich trete nachher zurück.«) werden sie nicht bekommen, und das wissen sie. Wann wurde die letzte Personalentscheidung kurz nach dem Spiel im Pressebereich getroffen und vermeldet? Nein, sie werden das Dementi hören, das sie gegenüber ihren Lesern oder Zuschauern süffisant anzweifeln können. Die Stirne wird in geheuchelter Besorgnis gerunzelt werden, von den »Mechanismen des Geschäfts« wird die Rede sein.
Oder sie werden ausweichende und unsichere Gegenphrasen hören und sich wie harte Interviewer fühlen und im übrigen die gleiche Süffisanz abspulen.

Es ist eine Situation, in der der Reporter mit seiner Frage in einem billigen Sinne nur gewinnen kann. Das ist zu leicht. Es ist langweilig. Jemanden, der mit gebundenen Händen mit dem Rücken zur Wand steht, in Bedrängnis bringen zu wollen, fesselt ungefähr genauso wie der Ehrentreffer in der 82. zum 7:1. Und schäbig wird es, wenn man das alles auch noch in eine Floskel verpackt und als Sachzwang verkauft. Wenn sie wirklich nicht fragen wollten, würden sie es lassen.

Überrascht uns!

Das Tragikomische daran ist, daß sich die Phrase eigentlich so offensichtlich selbst verrät. Kein Mensch, von einfühlsamen Kriminalinspektoren vielleicht mal abgesehen, leitet eine Frage mit dem Hinweis ein, er müsse ja. Nicht wenn die Frage ehrlich ist und das Interesse an der Antwort aufrichtig. Alles andere ist das Prinzip Kerner: Den niederen Instinkten freien Lauf lassen, sich aber im gleichen Moment vorsichtshalber selbst davon distanzieren; genau wissen, daß man etwas aus der untersten Schublade hervorholt, aber so tun, als würde es von allein und zwangsläufig auf dem Tisch landen.

Reporter! Überrascht uns doch mal. Überrascht uns ziemlich, indem ihr die langweiligste aller Fragen mal gar nicht stellt. Oder überrascht uns wenigstens ein bißchen, indem ihr so ehrlich seid, eure Einfallslosig- und Scheinheiligkeit nicht hinter noch einfallsloseren und scheinheiligeren Phrasen zu verstecken.


(Leicht überarbeitete Variante eines Artikels für die »11 Freunde«)

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