04.07.2010

Sollen. Brechen. Stelle.

Sprachkritik ist oft etwas müßig, vor allem, wenn nur eigene Gewohnheiten gegen den natürlichen Wandel verteidigt werden. Auch ist Logik nicht immer die geeignetste Kategorie, um etwas urtümlich gewachsenes und so vielen Einflüssen ausgesetztes wie Sprache zu erfassen.

Trotzdem muß man sich nicht alles gefallen lassen. Zwei Beispiele, die zuletzt häufig in Politik- und Bolzberichten vorkamen:


Sollbruchstelle

Was ist das Problem? Das Wort sagt doch alles. Sollbruchstelle. Sollen. Brechen. Stelle. Eine Stelle, die brechen soll. Worauf also möchte die FAZ mit folgender Analyse hinaus: »Die Sollbruchstellen im deutschen Spiel indes sind in der Vorrunde hervorgetreten. Das größte Defizit besteht auf der linken Abwehrseite.« Daß der Trainerstab die Position hinten links möglichst schwach besetzt hat, damit die Abwehr unter Druck genau dort zusammenbricht?

Das möchte man genausowenig glauben wie die Schlagzeile der Ärztezeitung: »Gesundheit wird Sollbruchstelle für die Koalition« oder die Beobachtung der Südwestpresse: »Wenn in diesen Tagen über den möglichen Bruch der schwarz-gelben Koalition spekuliert wird, liegen die Sollbruchstellen wieder mal offen zu Tage: Gesundheitsreform, Steuerpolitik, Präsidentenwahl.«

Nun hat wohl nicht einmal jeder der Abgeordneten der Regierungsparteien den Koalitionsvertrag gelesen. Daß dort allerdings die Themen Gesundheits- und Steuerreform und die Präsidentenwahl als jene festgeschrieben sind, an denen das Bündnis brechen soll, ist keine These, die als besonders tragfähig in die Thesengeschichte eingehen wird.

Nicht alles, was bricht, sollte auch brechen: Nicht jede Bruchstelle ist auch eine Sollbruchstelle.

Aber das klingt so schön, und was sollen wir denn sonst sagen? Das, was Ihr meint: Bruchstelle. Aber es sind ja nur mögliche Bruchstellen. Dann nennt sie doch genau so, um Himmels Willen. Mögliche Bruchstellen. Oder denkt Euch was aus. Ihr werdet fürs Schreiben bezahlt.

*

Fehlleistung

Wir sehen hier ein weiteres Kompositum. Geübte erkennen: Es setzt sich zusammen aus »Fehl« und »Leistung«. Noch Geübtere erkennen sogar, daß das etwas zu bedeuten hat und eine Fehlleistung etwas anderes ist als ein Fehler. Das klassische Beispiel ist der Freudsche Versprecher: Man sagt das, was man sagen möchte, falsch – das Falsche aber ist überraschend sinnvoll.

Wenig sinnvoll hingegen schreibt der stern, daß sich »die Schuld gewöhnlich auf eine einzelne, klar umrissene Fehlleistung bezieht (›Es tut mir leid, dass ich nicht pünktlich gewesen bin und du warten musstest.‹)«

Worin genau besteht hier die Leistung? Wenn man nicht stattdessen überpünktlich an einem völlig anderen Ort überraschend jemand ganz anderen getroffen hat, handelt es sich bei diesem Beispiel genausowenig um eine Fehlleistung wie bei kuriosen Schiedsrichterentscheidungen (»Da war das Duell gegen den Rivalen aus Südamerika gerade mal eine Stunde alt und der Zorn über die fatale Schiedsrichter-Fehlleistung beim Abseits-Tor durch Carlos Tevez noch nicht ganz verflogen.«) oder noch kurioseren Torwart-Phänomenen (»Praktisch jede Rochade im englischen Tor ergab sich aus einer kapitalen Fehlleistung der vorherigen Nummer 1.«).

Weder der Schiedsrichter noch die englischen Torhüter haben mit ihren Fehlentscheidungen und -griffen aus Versehen etwas geschaffen, das zwar in diesem Moment so nicht gewollt und alles andere als gut war, aber in einem anderen Zusammenhang durchaus gepaßt hätte. Sie haben einfach nur Fehler gemacht.

Wenn man als Faustregel gelten läßt, daß die »Leistung« in »Fehlleistung« – naheliegenderweise – für etwas Geleistetes, etwas in irgendeiner Form Sinnvolles steht, das nur eben statt des eigentlich zu Leistenden an einer völlig falschen Stelle erbracht wurde, dann ist eine weitere Kannbruchstelle deutschprachigen Formulierens unübersehbar.

Der letzte Satz ist ein bißchen lang.

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