Das Wort »Rudelgucken« ist nun also in den Duden aufgenommen worden. (Warum auch immer.) Stolz darauf ist man vor allem beim WDR; die Suche nach einer dudenfähigen »Public Viewing«-Alternative und die Initiative für einen entsprechenden Eintrag gingen vom hauseigenen Radiosender »1LIVE« aus. Bemerkenswert daran ist, daß sich die westdeutschen Rundfunker offenbar nur noch sehr undeutlich daran erinnern, was sie damals zu der Aktion veranlaßt hat. Stattdessen heißt es jetzt:
Die 1LIVE Redaktion war 2008 zu dem Schluss gekommen, dass "Public Viewing" zu schwer über die Lippen geht.
Laut eines kurzen Artikels auf einer Seite namens einslive.de war die Redaktion 2008 eher zu dem Schluß gekommen, daß dieser Begriff »in Amerika [...] für die öffentliche Aufbahrung von Toten benutzt« werde und daher ein »Scheinanglizismus« sei, den es durch ein »treffenderes Wort« zu ersetzen gelte.
Das wiederum war schon damals eine einigermaßen verblüffende Behauptung, weil es konservativ geschätzt ungefähr zweieinhalb Sekunden dauert, sich mit bereits minimaler Medienkompetenz von ihrer Bodenlosigkeit zu überzeugen. Insofern war es möglicherweise gar keine so dumme Idee, das lieber vergessen zu haben. Nach Metametametametaebene und Gegengegengegenwind hier also auch noch mal der:
5 Jahre netzwort.de. Das sind 1.825 Tage oder 43.800 Stunden oder 2.628.000 Minuten oder 157.680.000 Sekunden, was schöne Zahlen sind, die aber gar nicht stimmen, da innerhalb von fünf Jahren mindestens ein Schaltjahr vorkommt1, das letzte war 2008, das bedeutet, es sind 1.826 Tage oder 43.824 Stunden beziehungsweise 2.629.440 Minuten respektive 157.766.400 Sekunden. Lang!
Lang genug jedenfalls, daß sich trotz phasenweise erschütternd geringer Beitragsfrequenz ein paar Texte angesammelt haben, die zumindest nicht komplett unterirdisch sind. Manche wurden sogar mehr als einmal gelesen. Oder jedenfalls angeklickt. Zum heutigen Jubiläum also: Die fünf am häufigsten – wir bleiben mal vorsichtig – aufgerufenen Texte aus den letzten fünf Jahren. Nach der Musikpause.
5. Biberreim
Was reimt sich auf Biber? Eine Frage, die offenbar häufig gegoogelt wird. Antwort: Nicht viel. Jedenfalls nicht lupenrein. Auf Bibergedichte muß man trotzdem nicht verzichten. Zum Text »
4. Bebel vs. Lennon
Das John-Lennon-Gymnasium in Berlin heißt wirklich so. Wie es dazu kam, ist eine schöne Geschichte, und jemand der damals dabei war, erzählt sie hier in einem Gastbeitrag. Zum Text »
3. Das Sagen der Sarah Canary
Ironie: Auf diesen Beitrag scheint man gelegentlich zu stoßen, wenn man nach Alternativen für »sagte« sucht. Er propagiert genau deren Unnötig- bis Unsinnigkeit. Sagen Sie »sagen«! Zum Text »
2. Doppelt gesagt. Abgrenzungen für Angeber
Tautologie. Pleonasmus. Hendiadyoin. Ein straffer Überblick darüber, was davon was ist, wo die Unterschiede liegen und was das überhaupt alles soll. Mit praktischen Faustregeln für den Hausgebrauch. Zum Text »
1. Konträr gesagt. Abgrenzungen für Angeber II
Ein nicht mehr ganz so straffer Überblick zu einem ähnlichen Thema. Diesmal: Oxymoron vs. Contradictio in adjecto vs. Paradoxon. Auch schön. Und ebenfalls mit handlichen Merksätzen zum Mitnehmen. Zum Text »
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Übrigens: Um das netzwort.de-Jubiläum zu feiern, werden heute und auch morgen in weiten Teilen Deutschlands große Feuer entzündet, an denen sich mehrheitlich nette Menschen versammeln und die eben vorgestellten Texte zu Gehör bringen. Oder so ähnlich. Viel Spaß dabei! Aber auch vorsichtig sein.
In München wird im Sommer mit dem Bau eines NS-Dokumentationszentrums begonnen, das sich – auf dem Grundstück des »Braunen Hauses« – mit dem Nationalsozialismus und insbesondere der Rolle Münchens bei dessen Aufstieg und Glorifizierung auseinandersetzen soll.
Nur: Wie soll es heißen? Es liegt vergleichsweise nahe, ein NS-Dokumentationszentrum »NS-Dokumentationszentrum« zu nennen; genau daran aber entzündete sich heftigerStreit. NS ginge ja nicht, denn das stehe für Nationalsozialismus oder nationalsozialistisch und sei »Tätersprache«. Im übrigen wolle man nicht als »nationalsozialistisches Zentrum« (miß-)verstanden werden.
Auf letzteres braucht man wohl eher nicht ernsthaft einzugehen, zu ersterem möchte man einen langen Text schreiben, einen, in dem Wörter wie »Kontext« und »deskriptiv« sowie die Wendung »Meine Fresse!« vorkommen, es ist aber sehr schwer, weil man sich permanent an den Kopf faßt und mit nur einer freien Hand schlecht vorankommt beim Tippen. Auch sieht man schlecht wegen der Tränen. Daher ist es schön, daß jemand anderes es geschafft hat. Der Schweizer Historiker Raphael Gross schrieb für die gestrige Ausgabe der FAZ einen Artikel namens »Sprache und Nazismus« [leider noch nicht online], in dem es um die Begriffe »Kristallnacht/Pogrom« und »Holocaust« und eben »NS« ging, und der in folgendes Fazit mündet:
Die nationalsozialistischen Verbrechen wurden ebenso begleitet von Meinungen und Einstellungen, die ihren Niederschlag in der Sprache fanden. Insofern ist es berechtigt, genau hinzuhören und mit den Worten nicht leichtsinnig umzugehen. Gleichzeitig ist allerdings offenkundig auch etwas sehr merkwürdig an dieser Form der andauernden Eskalation. Man gewinnt den Eindruck, dass eine kleine Fehlleistung, ein unwissentlich falsch verwendetes Wort schon reicht, um eine Person potentiell als Wiedergänger des Nationalsozialismus erscheinen zu lassen. Nur: Der Nationalsozialismus war gewiss nicht die Wirkung einer kleinen Fehlleistung. Hier verdunkelt die Sensibilität mehr, als sie aufklärt.
Nichts hinzuzufügen.
(Das Zentrum wird übrigens heißen: »NS-Dokumentationszentrum. Lern- und Erinnerungsort zur Geschichte des Nationalsozialismus«.)
Aber vielleicht gibts ja noch was besseres zu bemeckern, als dass einer von uns halt "nur" singt?
Herrlich, wie hier mit unglaublichem musikalischen Wissen und psychologischem Tiefgrund Mr. Jackson analysiert wird. HAHA!
Dem Frontmann der Gruppe »Torpus & The Art Directors« mißfällt offenbar der Eintrag »Wippen und Nippen«, der Anfang April an dieser Stelle stand. Warum, bleibt etwas undeutlich. Was darin festgestellt wurde, war gar nicht, daß jemand »halt ›nur‹ singt«, sondern daß jemand halt größtenteils nicht singt. Sondern halt nur dasteht. Und halt wippt und nippt. (Dagegen ist im übrigen wenig einzuwenden. Die Frage ist doch nur, ob es ausgerechnet die Bühne sein muß, wo man diesem Hobby nachgeht.)
Wir wiederholen das alles noch mal als kleinen Gegenwindservice.
Kleingedrucktes: Leute! Stellt Euch doch so viele Backing Vocals auf die Bühne, wie Ihr wollt. Und stellt sie genau dahin, wo Ihr wollt. Gegenwind? Das hier? Dann aber viel Vergnügen mit den Leuten, die wirklich was bemeckern möchten. Da weht es ganz anders. Neuer Vorschlag: wieder zurücklehnen. Bißchen entspannen. Oder wippen und nippen.)