20.04.2008

Gestrichen voll

Das ist mal gründlich zusammengetragen:

Handschriftliches Manuskript, I Blatt, Zentralbibliothek Zürich. Der mit Kopierstitft durchgestrichene Text befindet sich auf der Rückseite des Prosastücks »Büchners Flucht«.

So zu lesen in den Anmerkungen zu Robert Walsers »Feuer. Unbekannte Prosa und Gedichte«. Da drängt sich natürlich der Gedanke auf: Hmm. Hmmhmm.

Stellen wir uns vor, wir schreiben aus Langeweile oder Überschwang oder in einem emotional oder chemisch zu begründenden Zustand, den routinierte Beobachter als verminderte Zurechnungsfähigkeit beschreiben, einen Text; mit bizarr verschachtelten Sätzen wie diesem, durchsetzt von mit nachhaltiger Gesellschaftspolitik nicht zu vereinbarenden Ansichten oder ganz allgemein einfach nur Scheiße – dann würden wir das nur ungern an die große Glocke hängen wollen. Frage aber: Was tun?

Wegschmeißen geht nicht, denn vorne drauf steht, wie sich jetzt herausstellt, ein Meisterwerk. Dann wenigstens durchstreichen, schon um der inneren Distanz Ausdruck zu verleihen. Und vielleicht bei Gelegenheit verschwinden lassen. Dem Vergessen übergeben. So tun, als wäre nichts gewesen. Was wir mit dem Durchstreichen definitiv nicht hätten sagen wollen: Ja, nehmt hin diese furchtbaren Zeilen, druckt sie ab und veröffentlicht sie; möglichst weitreichend.

Merken wir uns lieber: immer genug Schmierpapier vorrätig haben. Und einen Mülleimer. Oder lieber einen Kamin ...?

»Handschriftliches Manuskript, IV Blätter, Universitätsbibliothek Göttingen. Der dick durchgestrichene und mit der Randnotiz ›Was zum Geier ...?‹ versehene Text befindet sich auf der Rückseite einer zerrissenen und zusammengeknüllten Stromrechnung, die vom Nachlaßverwalter im Papierkorb entdeckt wurde und restauriert werden konnte.«


Robert Walsers Fragmente allerdings sind – aus Lesersicht – übrigens alles andere als Scheiße.

vorherige Seite →← nächste Seite