11.11.2007

Sehen und nehmen

Vor zwei Wochen hatten wir hier ein wenig über die Wendung »zunehmend weniger« sinniert. Wie sich zufällig herausstellte, hat Herr Max Goldt das auch schon mal getan, allerdings mit durchaus anderem Ergebnis:

Zunehmend: Viel geklagt wird hierzulande über die bösen Anglizismen. Dumm daran ist, daß man zwei verschiedene Erscheinungen so nennt. Einmal unübersetzt aus dem Englischen übernommene Vokabeln, zum andern Lehnübersetzungen. Es wäre besser, wenn man Ausdrücke wie »Bachelor« oder »Hardcover« als englische Fremdwörter bezeichnete und den Begriff Anglizismus auf Entlehnungen wie »Sinn machen«, »in 2002« oder »nicht wirklich« beschränkte. Fremdwörter sind häufig eine willkommene Sprachwürze. Als ich gestern am Telefon von jemandem gefragt wurde, wie mir sei, erwiderte ich, mir sei »slightly uneasy«, weil es mir eben würzig vorkam, so zu sprechen. Wozu habe ich denn Englisch gelernt? Soll ich etwa jedes Mal ins Ausland fahren, wenn ich mal Lust habe, ein paar englische Wörter zu sprechen – ich denke ja nicht im Traum daran.

Unfreundlich wäre es lediglich, das manchmal durchaus lustige und frische Kauderwelsch aus dem Computer- und Werbewesen gegenüber Menschen anzuwenden, bei denen Englischkenntnisse nicht vorauszusetzen sind. Problematischer aber als die gewiß oft unsouverän wirkenden englischen Sprachbrocken erscheint mir eine marottenhafte Verwendung bestimmter Übersetzungen, wie z.B. »zunehmend«: »Der Markt wird zunehmend enger.« Sätze mit »zunehmend« hört man jeden Tag zu hunderten, und es stellt keinen Trost dar, daß diese Sätze in ihrer Ursprungssprache genauso albern sind: »The world is getting increasingly smaller.« Wie die Welt das wohl macht? Immerhin ist klar, was diejenigen, die immerfort »zunehmend« im Munde führen, eigentlich sagen möchten: Sie würden gern sagen, daß der Markt zusehends enger werde, aber da »zusehends« aus ihrem aktiven Wortschatz gerutscht ist, sind sie als sprachliche Modeopfer dazu verdammt, mit dem dumm wirkenden »zunehmend« vorliebzunehmen.

(aus: »Wenn man einen weißen Anzug anhat«)

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